Obwohl schon Goethe als einer der prominentesten Deutschen in seinem Werk „Dichtung und Wahrheit“ auf die Darstellung der sog. Judensau an einem Frankfurter Brückentor verwies, begann forschungsgeschichtlich die Beschäftigung mit dem Thema Graffiti erst einige Jahrzehnte später.1 Ein Blick in die Historie dieses Forschungszweiges zeigt, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung um 1850 durch Archäologen und Altertumsforscher begann.2 Besonders in Pompeji und Herculaneum wurden so die meist inoffiziellen Botschaften erstmals aufgezeichnet und gesammelt. (Brockhaus 2006, Bd. 11, 253) 1871 wurden diese Sammlungen von Zangemeister veröffentlicht und legten somit den Grundstein für diese Forschungsrichtung.3 1904 erschien in Leipzig die sexualwissenschaftliche Zeitschrift Anthropophyteia des Wiener Forschers F. S. Krauss. Sie enthielt eine der ersten Sammlungen von Toilettengraffiti.4 Die Beschäftigung mit den Informationsspuren von Gefangenen stellt einen dritten Schwerpunkt dar. Hier sind besonders der italienische Kriminalist Lombroso und der Österreicher Petrikovics zu erwähnen.5 Auch aus dem Kölner Gestapogefängnis sind entsprechende Inschriften und Zeichnungen publiziert. (Ganz/Manco 2004, 8) Da eine belegte und detaillierte Gesamtdarstellung der Forschungsgeschichte, die diese Bezeichnung verdient, nicht existiert, lässt sich anhand dieser fragmentarischen Darstellung dennoch eine wichtige Problematik erkennen. Die Zuordnung dessen, was unter die Thematik Graffiti fällt, ist eher willkürlich und trägt bisweilen den Charakter einer Verlegenheitslösung. Eine fundierte Systematik ist nicht zu erkennen. Werden in den Darstellungen zur Graffitigeschichte die Höhlenmalereien häufig als der Ursprung dieses Genres benannt, so scheinen sie in der diesbezüglichen Forschungsgeschichte keine Rolle zu spielen. Genauso uneinheitlich wie die Geschichte stellen sich auch die Zugänge zur Thematik dar. Neben Archäologen, Volkskundlern, Kriminologen und Psychologen rückte der Gegenstand nun auch in das Interesse anderer Forschungszweige.6 So beschäftigten sich Soziologen mit dem Medium als Quelle zur Meinungsforschung und Einstellungsmessung. Sie gehen davon aus, dass Graffiti eine Menetekelfunktion erfüllt und somit als Unheil verkündendes Vorzeichen Hinweise auf politische und gesellschaftliche Phänomene gibt.7 Sprachwissenschaftler nutzten Graffiti zur Erhebung von Daten über umgangssprachliche Ausdrücke.8 Außerdem befassten sich Pädagogen und Kunstwissenschaftler auch in Verbindung mit der Paläographie und Paläotypie mit diesem Thema.9 Trotz des augenscheinlich erhöhten Interesses verschiedener Wissenschaftszweige, musste dies so zwangsläufig dazu führen, dass der Gegenstand aus seiner interdisziplinären Verortung heraus nicht als ein eigenständiger Forschungszweig allgemein anerkannt wurde. Besonders seit Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde in Europa damit begonnen, umfangreiche Archive mit Bildmaterial zu diesem Thema anzulegen.10 Seit 1996 ist das Institut für Graffitiforschung in Wien eine der wichtigsten Organisationen, die sich hinsichtlich eines wissenschaftlichen Forschungsansatzes ausreichend verdient gemacht hat.11 Es positioniert seine Forschung inhaltlich unter dem Menetekelansatz als Teilbereich der Meinungs- und Medienforschung.12

Die aktuelle Forschungssituation zeichnet sich dadurch aus, dass sich besonders Studierende aller Forschungsrichtungen im Rahmen ihrer universitären Ausbildung mit diesem Thema beschäftigen. Dies führt einerseits zu einer quantitativen Zunahme der Forschungsarbeiten, birgt jedoch in der Regel zwei größere Problemfelder in sich. Erstens werden die Forschungsergebnisse zumeist nicht selbst empirisch aus dem Feld erhoben oder sie sind zu wenig valide, als dass sich daraus tatsächlich nützliche Erkenntnisse gewinnen lassen. Oft werden nur theoretisierende und realitätsferne Vorgehensweisen gewählt. Zweitens führt die zeitliche Begrenzung bei der Erstellung einer solchen Arbeit nur zu einer oberflächlichen Beschäftigung mit dieser Thematik. So kommt es selbst dann noch oft zu unbrauchbaren Ergebnissen, wenn die empirischen Befunde durchaus aussagekräftig sind. Es werden durch der Sache unangemessene Schlussfolgerungen und unreflektierte Vermutungen oftmals Aussagen und Theorien abgeleitet, die einer objektiven wissenschaftlichen Betrachtung des betreffenden Realitätssegments nur ungenügend oder gar nicht Rechnung tragen. Dies spiegelt sich demzufolge auch im vorliegenden Quellenbestand wider. Die überschaubare Menge der gedruckten Publikationen trägt oft keinen wissenschaftlichen Charakter und zielt nahezu ausschließlich auf den schnellen Konsum einer jugendlichen Leserschaft. Außerdem erscheinen die meisten dieser Publikationen im Selbstverlag, was ihren Zugang über öffentliche Bibliotheken ausschließt. Als vorteilhaft ist dabei jedoch zu betrachten, dass hier häufig durch authentische Berichterstattung ein genauerer und tieferer Einblick in die Materie gewährt wird, als dies häufig in der Sekundärliteratur der Fall ist. Veröffentlichungen im Internet sind ungleich zahlreicher.13 Auch hierbei steht allerdings der dokumentarische Charakter dieser Publikationen an erster Stelle. Außerdem ist zu beachten, dass ohne eine konsensfähige Definition des Begriffs Graffiti auch keine klare Abgrenzung dessen, was damit erforscht wurde, gegeben werden kann. Je weiter die inhaltliche Zuordnung zum Phänomen, desto umfangreicher ist demzufolge auch die Forschungsgeschichte.


1 http://mitglied.lycos.de/grids/geschichte.html; eingesehen am 28.06.2006

2 http://members.chello.at/norbert.siegl/; eingesehen am 10.08. 2006

3 ebd.

4 ebd.

5 ebd.

6 http://members.chello.at/norbert.siegl/; eingesehen am 10.08.2006

7 http://www.graffitieuropa.org/news/048.htm; eingesehen am 07.09.2006

8 http://members.chello.at/norbert.siegl/; eingesehen am 10.08.2006

9 http://www.typolexikon.de/b/buchstabe.html; eingesehen am 16.07.2006

10 http://members.chello.at/norbert.siegl/; eingesehen am 10.08.2006

11 http://www.graffitieuropa.org/Institut.html; eingesehen am 10.08.2006

12 http://www.graffitieuropa.org/kultur1.htm; eingesehen am 05.09.2006

13 http://www.google.com/search?sourceid=navclient&ie=UTF-8&rls=DVXE,DVXE:2006-

      08,DVXE:en&q=kunst; eingesehen am 14.08.2006